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amadefries

22. Dezember 2018

Unterschätzter Supergleiter

Cadillac | 0 Kommentare

Ich kann mich noch erinnern, als ob es gestern gewesen wäre: Die Broschüre zum Cadillac Seville hatte zwischen den Hochglanzbildern immer wieder dünneres Papier, auf welchem skizzenartig konstruktive Details festgehalten waren. Es sind 26 Jahre vergangen und die beeindruckende Broschüre ist längst einer elterlichen Aufräumaktion zum Opfer gefallen. Schade, denn sonst könnte ich heute überprüfen, […]

Ich kann mich noch erinnern, als ob es gestern gewesen wäre: Die Broschüre zum Cadillac Seville hatte zwischen den Hochglanzbildern immer wieder dünneres Papier, auf welchem skizzenartig konstruktive Details festgehalten waren. Es sind 26 Jahre vergangen und die beeindruckende Broschüre ist längst einer elterlichen Aufräumaktion zum Opfer gefallen. Schade, denn sonst könnte ich heute überprüfen, ob Cadillac die Versprechen von damals noch immer zu halten vermag. Mir steht nämlich der aktuelle CT6 für einen Test zur Verfügung.

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So selten man den Vertretern dieser Marke auf unseren Strassen begegnet, so stark ist ihr Image immer noch. „Strassenkreuzer“, „Pink Cadillac“ und „meterhohe Heckflossen“ sind Begriffe, die jeder Automobilist, der sich noch an die Ölkrise erinnern kann, sofort in den Sinn kommen. Die Flossen sind zwar weg, doch das Design ist noch immer sehr eigenständig und mitunter eigensinnig. Vertikale Elemente, langgezogene Linien und natürlich die schiere Grösse lassen nie Zweifel aufkommen, dass es sich hier nicht um ein spezielles Stück Automobil handeln könnte.

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Auch als Fahrer wird man speziell behandelt: Mit leuchtenden Türgriffen begrüsst mich der CT6 schon bevor ich ihn aufgeschlossen habe. Er scheint sich schon fast auf mich zu freuen. Ich nehme Platz auf den fein belederten Sitzen der Platinum-Version. Jene Variante, die 122’000 Franken kostet, die aber ausstattungsmässig keine Wünsche mehr offen lässt.

Kleiner Einschub: Der Preis entspricht ziemlich genau jenem Betrag, den ein ähnlich starker Mercedes E53 AMG verschlingt, wenn man ihn vergleichbar ausstattet. Grössenmässig überragt der CT6 (5,18m) aber nicht nur die Mercedes E-Klasse (4,92m), sondern auch deren grossen Bruder S (5,14). Trotzdem sieht man bei Cadillac den CT6 als Konkurrenten für dir E-Klasse und damit auch für den BMW 5er, den Audi A6, den Volvo S90 und den Jaguar XF.

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Doch nun endlich hinters Lenkrad. Vielfach verstellbare Sitze nehmen Fahrer jeder Statur bequem in sich auf. Das Leder ist hochwertig, Holzdekoreinlagen glännzen mit Chromteilen um die Wette. Und auch wenn die Bedienknöpfe auf den ersten Blick etwas verstreut wirken mögen, so ist doch sofort klar, dass diese Limousine bei den Grossen mitspielen will. Bestens zu diesem Anspruch passt die hier zum ersten Mal verbaute neueste Generation von Bose-Audioanlagen. Unglaubliche 34 Lautsprecher beschallen den Innenraum so, dass auch bei geringen Lautstärken jeder Ton perfekt zu den Ohren vordringen kann. Kleine Speaker in den Kopfstützen helfen, um diesen Effekt zu erreichen.

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Ich bewege den Hebel des hauseigenen Automatikggetriebes in die Drive-Stellung. Manövrieren fällt dank Vierradlenkung leicht. Im Stadtverkehr stört die Grösse erstaunlich wenig. Bei der ersten Überlandpassage schalte ich von Tour auf Sport und schnell wieder zurück auf Tour. Die sportliche Abstimmung, die das Magnetic-Ride-Fahrwerk auf hart stellt, passt nicht zum sonst so souveränen Auftritt des US-Amerikaners. Sofort hört das Poltern wieder auf. Mit leichter Hand schwinge ich den Caddy um die Kurven, beschleunige sanft aber bestimmt heraus. Wissend, dass ich stets schneller könnte als alle Anderen um mich herum.

420 PS holt man bei Cadillac aus dem nur im CT6 verbauten V6-Biturbo. Noch immer ist die Marke die technische Speerspitze des GM-Konzerns. Der Motor beweist dies eindrücklich. Viel Power in jeder Situation, ein dezenter aber guter Klang und ein jederzeit ruhiger Lauf sind die Eigenschaften, die perfekt zu einer edlen Limousine passen. Doch wie schaut es mit dem Verbrauch aus? Im Test genehmigte er sich im Schnitt 10,7 Liter. Dazu sei angemerkt, dass die erstaunlich dynamische Abstimmung durchaus zu flottem Fahren verleitet.

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Spätestens in der Tiefgarage ist es dann aber vorbei mit Dynamik, nun ist Präzision gefragt. Die 5,15 Meter wollen gezielt geparkt werden. Auch hier überrascht der CT6: Dank Vierradlenkung verschwinden die Schweissperlen schnell von jeder Fahrerstirn. Wendekreise werden aktiv geschrumpft, Parkieren wird zum Kinderspiel. Doch damit sind die technischen Highlights des weissen US-Amerikaners noch lange nicht erschöpft. Aus rechtlichen Gründen ist die SuperCruise genannte autonome Fahrfunktion momentan noch nicht aktiviert. In den USA ist man damit aber bereits unterwegs.

Bereits jetzt funktioniert dagegen das Nachtsichtgerät. Zentral im Display vor dem Lenkrad findet sich das Bild, in dem Fussgänger jeweils noch farblich hervorgehoben werden. Gerade in der dunkleren Jahreszeit eine willkommene Hilfe. Wie überhaupt der Cadillac CT6 einfach ein sehr angenehmer Begleiter ist, der für jede Situation die passende Lösung bereitzuhalten scheint.

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Mit dem CT6 ist Cadillac ein grosser Wurf gelungen, der sich deutlich vom Rest der doch spürbar für den US-Markt entwickelten Palette abhebt. Er kann preislich locker mit den europäischen Konkurrenten mithalten, zumal er deutlich mehr Platz und Prestige mitbringt. Das Sahnestück unter der Haube, die gute Fahrwerksabstimmung mit praktischer Vierradlenkung und für die Schweiz nicht unwesentlich: Allradantrieb formen aus dieser Limousine ein äusserst interessantes Gesamtpaket. Gerade als Platinum eignet er sich auch sehr gut als Chauffeurlimousine, da die hinteren Sitze elektrisch in eine Liegeposition fahren können. Aber eigentlich ist der CT6 viel zu schade, um ihn nicht selbst zu fahren.