Nach dem kurzen Antesten vor vier Monaten nun also die Probe aufs Exempel: Wie gut macht sich die brandneue Alpine A290 im Alltag? Mit vollgeladenem Akku starte ich bei Renault Schweiz, wo es gleich auf die Autobahn geht. Im Gegensatz zu einem Alpine-Blauen Exemplar sticht die schwarzweisse Farbkombi (Blanc Nival und Noir Profond) im Alltagsverkehr nicht gross heraus. Ob sich trotzdem wie mit dem Renault 5 spontane Gespräche mit Passant:innen ergeben? Ich bin gespannt.

Klassisch: Die Proportionen bleiben knackig
Zuerst ein Blick auf die Unterschiede zum Bruder aus dem Hause Renault: Aussen sicher die auffälligen X-LED-Signaturen in den kleinen quadratischen Zusatzscheinwerfern. Hier macht die A290 ein wenig auf Rallye-Sport, denn früher brachte man dort x-förmig angeordnete Klebebänder an, um die Scheinwerfergläser zusätzlich zu schützen. Weiter geht es mit diversen Logos und Schriftzügen ringsum. Selbst die Ladeanzeige in Form einer leuchtenden 5 auf der Motorhaube musste dem (leider?) nicht beleuchteten Marken-A weichen.

X: Mit etwas Fantasie sieht man die Rallye-Zusatscheinwerfer samt Klebeband
Innen gibt es ebenfalls auffällige Unterschiede. Die Abwesenheit des halbintelligenten digitalen Assistenten namens Reno, ist sicher zu verschmerzen. Doch da ist natürlich noch mehr. Denn während man beim konventionellen Renault die Gänge via Lenkstockhebel einlegt, findet man den Fahrstufenauswahl in Form runder Knöpfe auf der Mittelkonsole. Diese Lösung führt offenbar auch dazu, dass es ähnlich viele Ablagen wie im Sportwagen Alpine A110 gibt. Fast keine. Auch die Türtaschen fallen sehr niedrig aus und nehmen kaum Material auf. Wobei Material ein gutes Stichwort ist, wirkt doch die A290 zwei Stufen edler als der Renault 5, was zum Beispiel die Oberfläche des Armaturenbretts angeht. Hier bringt ein abgestepptes Kunstleder coole Retro-Racing-Vibes. Und dann ist da natürlich das Lenkrad mit dem Overtake-Knopf und dem Rekuperierrad. Beide wirklich schön anzufassen.

Cool: Das Lenkrad mit seinen markenspezifischen Zusatzknöpfen gefällt
Doch geht es hier nicht nur um Haptik und Optik, so ein kleiner Elektrosportler will gefahren werden. Was läge da näher, als ein Mittagessen am Lago di Lugano? Richtig, näher läge so Einiges, doch manchmal ist halt tatsächlich der Weg das Ziel. Also alles Nötige (sprich: Sonnenbrille) gepackt und ab in Richtung Süden. Vielleicht wäre eine Vollladung noch auf der Packliste zu vermerken gewesen, doch die 85% SOC sollten doch auch relativ weit reichen, oder?

A: Schön, ist die legendäre Marke Alpine zurück!
Relativ weit stimmt wohl nicht schlecht, denn es sind halt 85% von 52 kWh und der Weg führt natürlich über den komplett schneefreien Gotthardpass. Die Anfahrt bietet Gelegenheit, das Multimediasystem der kleinen Alpine zu durchstöbern. Das Handy kabellos über Apple CarPlay verbunden, strömt die Musik ins Auto. Wie damals in den 1990ern hat man auch hier einen Subwoofer unter dem Kofferraumboden verbaut. Der Klang der aufpreispflichtigen Devialet-Anlage ist durchaus beeindruckend, zumal man dank E-Antrieb nur sehr wenige Geräusche des Antriebs übertönen muss. Wer übrigens mehr zoom- und vroom-Sound vom Band möchte, für den bieten die Franzosen zwei verschiedene Klangfarben von künstlichen Motorengeräuschen an, die jeweils auch noch in zwei Lautstärken zur Verfügung stehen. Ich bevorzuge „off“. Gerne würde ich auch den Verkehr ausschalten, doch so einfach ist das leider nicht.

Passhöhe: Von jetzt an wird rekuperiert
Ab Andermatt dann weitgehend freie Fahrt. Zwei mal den Fahrmodusschalter am Lenkrad gedrückt, „Sport“ leuchtet auf. Warum man jedes mal wieder von Neuem die Rekuperation nach oben schrauben muss, bleibt ein Rätsel der Markenbedienphilosophie, ebenso die Absenz eines echten One-Pedal-Modes. Bergauf geht der A290 gut, auch wenn 218 PS nicht übetrieben viel sind. Die 300 Newtonmeter zerren je nach Fahrsituation schon jetzt ordentlich an der Vorderachse, so dass die Elektronik dann gerne Leistung wegregelt. Trotzdem macht der Weg nach oben Spass. Hier leistet auch die OV-Taste (Overtake) ihren Beitrag. Obwohl sie im Grunde nichts anderes als ein spontaner Kickdown ist, fühlt sich die Leistungsentfaltung subjektiv noch etwas krasser an. Witzig auch, dass ein Balken im Tacho anzeigt, wie viel Saft für den Boost noch verbleibt. Das Lenkrad liegt gut in der Hand, die Übersetzung und Rückmeldung passt. Die Sportsitze sind bequem und bieten guten Seitenhalt. Ihre klassisch manuelle Einstellung benötigt aber etwas Zeit, um eine wirklich passende Sitzposition zu finden.
Zeit habe ich zwar nicht übertrieben viel, doch der Weg über die historische Tremola muss einfach sein. Immer wieder ein Traum, wie man die Kurven in den Berg gebaut hat und in welch’ tollem Zustand der Belag aus Pflastersteinen ist. Das finden offenbar auch zahlreiche Velofahrer:innen, die ein allzu dynamisches Vorwärtskommen verunmöglichen, auch so kommen die ab GT Performance serienmässigen Michelin Pilot Sport 5S gerne mal an ihre Haftungsgrenze. Nicht schlimm, so ergibt sich dafür die Möglichkeit, das Ganze in einer kurzen Pause auch noch von oben festzuhalten. Nach ein paar wenigen Drohnenbildern geht es weiter in Richtung Süden. Das eingebaute Google-Navi prognostiziert eine Ankunft mit einstelligem Akkustand, womit sich dann ein Zwischenstopp am Schnelllader anbietet.

Schwarz, rund und der A290 auf den Leib geschneidert: Michelin Pilot Sport 5S
Auf der Raststätte Bellinzona Nord fährt vor mir ein grosser Sattelschlepper. Gerade als ich denke, er habe sich verfahren, erspähe ich den kleinen Schriftzug auf seiner Flanke: Electric. Der Fahrer ist mässig begeistert von seinem topmodernen Renault. Verständlich, denn im Ladebereich des Autobahnraststätte gibt es gar nicht genug Platz für so einen Trumm. Nur durch Glück sind die Plätze neben ihm ebenfalls frei, so dass die Schnellladung tatsächlich stattfinden kann. Auch die A290 braucht Saft, nimmt in 20 Minuten immerhin 26 kWh auf. Die theoretisch möglichen 100 kW wurden hier also nicht erreicht.

Bunt: Vom LKW bist zur brandneuen Alpine A290 – alle tanken hier Strom
Es geht weiter via Autobahn über den Monte Ceneri und schon bald auch über einen kleinen Hügel gleich bei Lugano. Je näher ich dem Ziel Porlezza komme, desto schmaler werden die Strassen. Hier hilft es also auch nicht, dass der A290 gegenüber der R5-Basis nochmals 5 Zentimeter in die Breite gegangen ist. Mit 1,82 Meter braucht es auf den italienischen Strässchen schon etwas Augenmass. Die kompakten 3,99 Meter Länge dagegen helfen, auch mal eine kleinere Lücke zu nutzen.

Alpine-spezifisch: Die Mittelkonsole ist hübsch, Cupholder wären trotzdem ebenso willkommen wie brauchbare Ablagen
In welche Lücke Alpine mit der A290 zielt, ist klar. Der Mini Cooper SE bietet die genau gleiche Leistung und die genau gleiche Akkukapazität. Während der Testwagen auf 44’700 Franken kommt, verschlingt ein analog ausgestatteter mindestens 2000 Franken mehr. Dazu kommt, dass es ihn nicht als 5-Türer gibt. Zudem bietet er bei praktisch identischen Aussenmassen weniger Kofferraum. Während der Kleinwagen aus dem Hause Alpine wie der R5 eine franzöische Eigenkreation ist, kommt der elektrische Mini momentan noch aus chinesischer Produktion und baut auch auf einer Plattform aus dem asiatischen Land auf.

Beweisfoto: Palmen am Lago di Lugano
Während des Lunchs direkt am Lago die Lugano im Ristoranto Il Ritrovo spielt das keine Rolle. Hier geht es um leckeres Essen mit Sicht auf den See. Fast könnte ich vergessen, dass für die Heimfahrt nochmals Laden angesagt ist. Nun allerdings an der Wallbox. Für die Rückreise nach Luzern stehen 76% SOC oder vom Auto geschätzte 239 Kilometer Reichweite zur Verfügung. Trotzdem geht das Navi davon aus, dass die 190 Kilometer lange Rückfahrt (durch den Tunnel) immer noch zu weit sein würde, um sie ohne zusätzlichen Stromtankhalt zu schaffen. Was sagen wir in solchen Fällen? Richtig: Challenge accepted.
Im Stau vor dem Süd-Portal kann der adaptive Tempomat zeigen, was er kann. Und er kann viel, folgt dem vorausfahrenden Fahrzeug, bremst gefühlvoll bis zum Stillstand und fährt bei Bedarf sanft wieder los. Wer die Hand zumindest leicht am Lenkrad beläst, profitiert zudem von einer recht guten automatischen Spurführung. Weil zwischenzeitlich das Handy den Geist aufgab, beziehungsweise es keinen Strom mehr über die induktive Lademöglichkeit aufnahm, kam es doch zu einem kurzen Stopp. Um ein sehr teures USB-C-Kabel reicher, durchquere ich das Gotthard-Massiv. Inzwischen werden über 10% Restkapazität prognostiziert. So fahre ich entspannt weiter, um mit 12% SOC anzukommen.
Dass ein Kleinwagen mit 52 kWh nicht das ultimative Langstreckentalent an den Tag legt, überrascht nicht. Dass er auf der Fahrt aber mit viel Komfort und einem sehr brauchbaren Fahrspasskompromiss überzeugen kann, dagegen schon. Die Alpine A290 hat definitiv das Zeug, jeden Tag ein bisschen zu versüssen und einfach Freude zu bereiten. Auch im Wissen, dass sie kurvigen Bergstrecken nicht abgeneigt ist. Die fünf Türen und der 300 Liter grosse Kofferraum helfen bei Alltagsaufgaben. Der Durchschnittsverbrauch von 19,3 kWh auf 100 Kilometer spiegelt den Spasszuschlag gegenüber dem Renault 5 wider, der mit 18,5 kWh auskam. Noch mehr Spass würde die Alpine bereiten, wenn sie im Innenraum ein paar praktische Ablagen mehr zu bieten hätte.

Sexy: Gibt es einen hübscheren Kleinwagen?
Besonders gegen Ende des Testzeitraums häuften sich dann auch die spontanen Sympathiebekundungen. Vom Kebabverkäufer, über ein paar neugierige Passanten bis zum Ferrari 812 Aperta-Fahrer mit gerecktem Daumen war da alles dabei. Und das führt einen automatisch zum grössten Pluspunkt. Die Alpine A290 hat es optisch einfach drauf, kommt sympathisch, sportlich und eigenständig daher. Die kleinen Tricolore-Fähnchen an den C-Säulen sind die 150 Franken Aufpreis wert, schliesslich fährt hier eine echte Sport-Französin, die auch tatsächlich Made in France ist. Um so sportlich zu fahren, wie sie ausschaut, wäre eine 300 PS-Version vielleicht sogar mit Allrad oben auf meiner Wunschliste. Dann wäre 290 definitiv mehr als 5. So bleibt der Entscheid Geschmacks- und Geldsache.
