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zuendung

6. Januar 2014

…bis er bricht!

Toyota | 0 Kommentare

Nicht dass wir ihn geschont hätten; abseits der feinen, asphaltierten Schnellstrassen sind Schlaglöcher schwer zu verfehlen. Sie prügeln auf Reifen, Fahrwerk, Carrosserie und Mensch – ja selbst aufs Gebiss. Staub dringt in alle Ritzen – auch in menschliche. Die Hitze brütet; draussen will man nicht sein. Unser Schutz vor der bedrohlichen Aussenwelt: Ein Toyota Land […]

Nicht dass wir ihn geschont hätten; abseits der feinen, asphaltierten Schnellstrassen sind Schlaglöcher schwer zu verfehlen. Sie prügeln auf Reifen, Fahrwerk, Carrosserie und Mensch – ja selbst aufs Gebiss. Staub dringt in alle Ritzen – auch in menschliche. Die Hitze brütet; draussen will man nicht sein. Unser Schutz vor der bedrohlichen Aussenwelt: Ein Toyota Land Cruiser J15, der im arabischen Raum schlicht „Prado“ heisst. Er ist der kleinere Verwandte des J20, alias Land Cruiser V8 beziehungsweise Lexus LX in Europa. Beim Hertz-Mann in Dubai kaufen wir das ganze Versicherungspaket für unsere Rundreise; man weiss ja nie so abseits vom Schuss. Auffallen tun wir mit dem weissen Geländewagen kaum, fährt doch geschätzt halb Arabien in einem hitzetauglich lackierten Hochbeinigen herum.


Sandpassagen verlangen Schwung und zugleich einen behutsamen Gasfuss. Bis im Ernstfall jemand zum Herausziehen ins abgelegene Gebiet kommt, kann es ganz schön dauern.

Vollgepackt mit fünf Personen, Gepäck und knapp 20 Litern Wasser an Bord eilen wir über den sechzehnspurigen Dubai-Highway gegen Ras al Khaiman, einem kleinen, ärmeren Emirat. Den Vierliter V6-Benziner lassen wir ordentlich drehen, schliesslich ziehen bei schon ziemlich übersetzter Geschwindigkeit immer noch Einheimische an uns vorbei. Zumindest nehmen wir an, es seien Einheimische, man sieht sie nicht. Mit den meist rundum verdunkelten Scheiben wirkt der Mitverkehr äusserst unmenschlich, als ob man es mit selbstfahrenden Autos zu tun hätte. Entsprechend rau sind die Gepflogenheiten; Blinken beim Abbiegen zum Beispiel scheint nicht Bestandteil der Verkehrserziehung zu sein. Bald kommt die Küste, freie Sicht auf die Strasse von Hormuz. Und weil den prächtigen Sandstrand nichts von der Schnellstrasse trennt, lenken wir spontan gegen das warme Nass und legen einen Badehalt ein. Wie es sich für einen Geländewagen gehört, verfügt unser Prado über eine Geländeuntersetzung und eine Längssperre. Schneeerfahrung hilft wenig im losen Sand, wie wir rasch erkennen. Nur mit Aufschaukeln und feinen Gasstössen schaffen wir es wieder auf befestigten Untergrund. Lausige Anfänger, schimpfen wir uns und geloben, das Sandfahren ausgiebig zu üben.


Laut Kartographie gibt es diese Piste nicht, sie liegt in militärischem Sperrgebiet. Das ändert nichts daran, dass sich der Prado darauf äusserst wohl fühlt.

Nach dem Grenzübertritt in die Oman-Enklave Khasab weicht die Sandlandschaft einer eindrücklichen Bergwelt. Gipfel von über 2000 Metern stechen hier aus der schmalen Halbinsel heraus. Um an die Ostküste nach Fujairah zu gelangen, so empfehlen uns die Ortskenner, fliege man im Privatjet vom Flugplatz nebenan oder man befahre den Highway durch umliegende Emirate. Es gäbe jedoch eine Abkürzung mitten durch das furchterregende Bergmassiv. Diese führe zwar durch militärisches Sperrgebiet, wobei man von den Wachen am Kontrollpunkt meistens durchgelassen würde. Man müsse nur genug „Drama“ machen. Weder Navi noch Google Maps kennen die Strasse. Was kann denn schon passieren, man kann ja jederzeit wenden! sagen wir uns und fahren frühmorgens los und üben laufend neue Ausreden für den Kontrollposten ein. Ausgerüstet mit einem Kompass, Schokokeksen und Trinkwasserreserven für einige Tage steuern wir dem ersten Bergtal entgegen. Bei 40 Kilometern pro Stunde schluckt die vordere Einzelradaufhängung Unebenheiten was sie kann. Hinten poltert die Starrachse, und das Lenkrad will fest in den Händen gehalten werden. Mitfahrer beklagen schmerzende Hinterteile. Im Rückspiegel ist nichts zu erkennen, nur Staub: Wir ziehen einen Wulst aus Sand und Schmutz hinter uns her. Das gehört sich doch nicht! Einheimische lehren uns aber bald, wie man die Nebenwirkungen der unbefestigten Strasse – oder besser des befestigten Bachbettes? – in den Griff bekommt: Man fährt einfach schneller! Leistung und Treibstoff sind genügend da und der Staub wirbelt ja sowieso. Noch Fragen?


Man kann sich kaum satt sehen, die karge Landschaft erscheint wie gemalt.

60, zwischendurch mal 80 muss unser Toyota aushalten. Es müssen Eisenreifen aufgezogen sein, denken wir uns ob den Schlägen, die ins Wageninnere vordringen und sich äusserst ungesund anhören. Nächstens müsste ein Reifen dran glauben, sind wir überzeugt. Die spitzen Steine, Querfugen und Schlaglöcher können ihnen nicht gut bekommen. Inzwischen hetzen wir den Land Cruiser in der Untersetzung durch die engen Kurven. Die erste normale Fahrstufe des Fünfgangautomaten wäre zu lang ausgelegt, um flüssig aus den steilen Biegungen heraus zu beschleunigen. Untersetzt darf der V6 bis ans Maximum hochdrehen und seine gut 270 PS dem Geröll und der Steigung entgegenstemmen. Die zunehmend dünne Luft schmälert seine Kraft jedoch spürbar. Trotzdem greift hie und da die Antischlupfregelung ein. Drifts erstickt die nicht ausschaltbare Stabilitätsregelung leider (aus Fahrerperspektive – Mitfahrende sind froh darüber) im Keim.


Staub dringt in die feinste Ritze – ob ihn der Luftfilter vom Ansaug fernhalten mag?

Geschafft! Wir sind oben. Der Ausblick über die zerklüftete Berglandschaft bleibt für immer in Erinnerung. Dem Prado gönnen wir eine Auskühlpause, prüfen Reifen und Flüssigkeiten. Wir finden nichts Aussergewöhnliches und machen uns an den Abstieg. Die Untersetzung hilft, die Drehzahl hoch zu halten und die schwere Fuhre sanft abzubremsen. Unerwartet taucht das militärische Sperrgebiet auf: Ein Wächter rückt unbeholfen seine Uniform zurecht, schnappt seine Waffe und eilt zur Fahrertür. In vagem Englisch drückt er seine Freude über den seltenen Besuch aus. Ganz ohne Drama lässt er uns passieren. Nicht dass wir die üppigen Satellitenanlagen ausspionieren wollten, aber die Gelegenheit dazu wäre perfekt gewesen. Aber da wir ja mehr an der Belastungsgrenze des Toyotas als an einer Staatsaffäre interessiert sind, brettern wir weiter und sind gespannt, wie weit uns der J15 auf der Holperpiste noch trägt. Schläge mit unheimlicher Wucht dringen ins Innere vor. Als ob jemand mit dem Vorschlaghammer auf die A-Säule schlüge! Der Weg vor uns wird breiter und flacher; wir schalten die Untersetzung aus und fliegen weiter durchs verbotene Gebiet. Über 100 liegt drin, die Maschine nimmt Belastungen auf sich, die die Technikerherzen unter uns nie für möglich hielten. Anhalten ist übrigens nicht ohne: Wer zu schnell bremst, den holt die Staubwolke ein. Nach sechs Stunden nähern wir uns der Grenze zum Emirat Fujairah und biegen auf die Hauptstrasse ein. Plötzlich gibt es wieder Gegenverkehr. Zum Beispiel einen Lexus LS400 mit drei Jungs auf der Motorhaube. Sich liegend auf der Motorhaube chauffieren zu lassen scheint bei den Omani ein gängiger Zeitvertreib zu sein. Aus Gründen der kulturellen Anpassung probieren wir es auch – und sind begeistert. Allerdings ist auch dabei Anhalten nicht ohne.


Vorgänger unseres J15 stehen in Fujairah bereit, um morgens die Fischernetze an Land zu schleppen. Hinten die Öl- und Gasreserven der Vereinigten Emirate, die unzähligen Tanks reichen bis an den Horizont.

Die 4×4-Freude ist nun ausgelebt, wir sind froh, wieder ganz entspannt auf Asphalt zu fahren und geniessen den Komfort. Am Grenzübergang zu den Vereinigten Emiraten dann die Überraschung: Man will uns nicht einreisen lassen, weil wir angeblich Regierungsinfrastruktur fotografiert haben. Der bärtige Dishdash-Träger lacht wie in 1001 Nacht und empfiehlt uns in gebrochenem Englisch, nächstes Mal besser keine Bilder zu schiessen. In den nächsten drei Stunden stehen wir stramm in seinem Büro, während er Foto für Foto auf unseren Kameras begutachtet und freimütig kommentiert – unter Beaufsichtigung eines Schergen mit scharfer AK47. Schliesslich dürfen wir ohne Strafe weiterziehen, natürlich nicht ohne vorher unser Gepäck fein säuberlich zur Kontrolle auszulegen. Und wie uns der Bärtige grinsend bestätigt, dürfen wir nun definitiv nicht einreisen. Er weist uns den Weg in die Richtung, die wir bereits kennen. Dann heisst es, auftanken, Untersetzung rein und nochmals hoch ins Gebirge. Einmalig, wie die untergehende Sonne in den staubigen Felsen glitzert. Dem Prado scheint es Wurst zu sein, er lässt sich ohne Mürren nochmals über Stock und Stein treiben. Die Nehmerqualitäten sind vorbildlich. Weder Reifen noch sonst etwas haben wir mit der harten Tour ums Eck gebracht. Einzige Wermutstropfen des Prados: Zum einen die Sitzpolster. Sie mögen robust und langlebig sein. Wenn einem abends nach einer langen Fahrt jedoch das Gesäss schmerzt, wünscht man sich komfortablere Sitze. Zum anderen die Wirtschaftlichkeit: Trotz Vollgasfahrten in der Wüste (Einheimische reisen gerne mal um Tempo 200), steilen Geländepassagen, Vollbeladung und Höchstklimatisierung: Man wähnt sich ob des nur langsam sinkenden Benzinstands ökologisch vorbildlich unterwegs – bis zum ersten Tankstopp, wo das Reservoir knappe 160 Liter schluckt! Wir vermuten Betrug, das Toyota-Handbuch bestätigt aber das rekordverdächtige Volumen. Mit dem errechneten Durchschnittsverbrauch von über 20 Litern pro 100 Kilometern fühlen wir uns Walschlächtern und anderen Umweltsündern plötzlich sehr verbunden und wollen den Gasfuss nicht länger so weit runterdrücken. Erst der Tankwart stimmt uns wieder froh: Die Kosten pro Liter Normalbenzin liegen im Oman bei umgerechnet etwa 13 Rappen. Nach zehn Tagen Schlechtwegen und einigen Tausend Kilometern geben wir den Wagen frisch gewaschen dem Hertz-Mann zurück. Er ist beeindruckt: Kein Kratzer!