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zuendung

24. September 2014

Tarnung aufgeflogen

Jaguar | 0 Kommentare

Der Jaguar XFR-S versucht seine sportlichen Talente so gut es geht zu verheimlichen. Der Testwagen kommt weder im supersportlichen Blau, noch verfügt er über den grossen Heckflügel. Dennoch bleibt kaum jemandem verborgen, dass es sich bei diesem XF um eine spezielle Version zu handeln scheint. Tatsächlich haben die Briten die 510 PS starke Limousine nochmals […]

Der Jaguar XFR-S versucht seine sportlichen Talente so gut es geht zu verheimlichen. Der Testwagen kommt weder im supersportlichen Blau, noch verfügt er über den grossen Heckflügel. Dennoch bleibt kaum jemandem verborgen, dass es sich bei diesem XF um eine spezielle Version zu handeln scheint. Tatsächlich haben die Briten die 510 PS starke Limousine nochmals schneller gemacht. Schier unglaubliche 550 Pferde treiben die Hinterräder an. Allerdings verzichtet man hier auf die akustische Brutalität, die den F-Type praktisch aus Wohnquartieren verbannt. Nur beim Starten meldet sich der V8 mit einem gezielten Schuss extra Drehzahl zu Wort.

Aller „Tarnbemühungen“ zum Trotz, wird der XFR-S in Luzern von einem Autospotter als Spitzenmodell erkannt und sogleich auch abgelichtet. Der junge Holländer kommt wegen seinem ausgefallenen Hobby jedes Jahr in die Stadt in der Zentralschweiz. Nach einem kurzen Gespräch war klar: Zeit für ein kurzes Fotoshooting muss sein. Gerne zeigen wir hier seine Bilder, die er auf einer Spritzfahrt vom Testwagen schoss.

Sofort vertraut ist die feinfühlige Lenkung, die gleichzeitig mit grosszügiger Unterstützung arbeitet. Hinter dem Lenkrad sind Schaldpaddel montiert. Doch wer den ZF-8-Gänger kennt, der weiss wie selten manuelle Eingriffe wirklich nötig sind.

Man kann sich natürlich fragen, wie eine sämige Wandlerautomatik zu einem Sportler wie dem XFR-S passt. Die Konkurrenz aus München setzt beim M5 auf ein Doppelkupplungsgetriebe, das die Gänge bei Bedarf mit richtig Schmackes reinknallt. Vielleicht ist man bei Jaguar einfach ein bisschen mehr der Realität verpflichtet. Vielleicht weiss man dort besser, dass die Klientel dieser Fahrzeuge allenfalls damit an aber nicht auf die Rennstrecke fährt. Im Alltag gibt es kein besseres Getriebe. Kein Räderwerk der Welt hat die Mischung zwischen rechtzeitigen und schnellen Gangwechseln und maximalem Schaltkomfort derart im Griff.

Etwas Nachhilfe haben die Briten im Interieur nötig. Zunächst das Positive: Der Stilmix ist gelungen, alles schaut sehr edel aber nicht protzig aus. Der metallene Drehknopf für die Automatik fasst sich hervorragend an. Das Leder der Sitze schmiegt sich herrlich an ohne zu viel Gemütlichkeit zu versprühen. Aber da ist diese eine Abdeckung oberhalb des Handschuhfachs. Sie ist schräg eingebaut, was man aufgrund des Fugenverlaufs sofort erkennt. Natürlich ist das eine Kleinigkeit. Aber weil 152’950 Franken eben keine Kleinigkeit sind, mag man ihm sowas eben nicht wirklich verzeihen.

Ein paar Kleinigkeiten sind es auch, die den Preis des XFR-S von 137’500 Franken noch um über 15’000 Taler steigen lassen. Das grosse Navi (3100.-) will ebenso extra bezahlt werden wie die Soundanlage mit 825 Watt (2550.-) und die Karboneinlagen (1900.-), die dem Fahrzeug im Innenraum eine gewisse Finesse verleihen. Dass man in dieser Klasse selbst eine Skidurchreiche (370.-!) oder geteilt umlegbare Rücksitze (640.-) extra berappen muss, grenzt schon an Dreistigkeit. Allerdings unterscheidet sich Jaguar da nicht von der Konkurrenz. Offenbar ist die zahlungskräftige Klientel durch solche Petittessen nicht zu verschrecken. Immerhin sind die schwarzen 20-Zöller für geniessbare 800 Franken zu haben. Was gar nicht geht: Der Abstandsregeltempomat ist im Gegensatz zum XFR im absoluten Topmodell gar nicht erhältlich. Dabei wäre er es, der lange Fahrten auf der Autobahn versüssen würde. Also genau jene Disziplin, der XFR-S wohl am häufigsten zu absolvieren haben dürfte.

Der Preis liegt sehr hoch, bewegt sich aber im Rahmen der Konkurrenz. Mit ihr gemeinsam hat die schnellste der Katzenlimousinen die Energieeffizienzkategorie. G, also die schlechteste. 11,6 Liter sollen durch die grosszügigen Brennräume im Durchschnitt fliessen, wenn wir den Werksangaben trauen wollen. Im Test genehmigte sich der 550 PS starke 2,1-Tonnen Brocken 11,5 Liter.

Man könnte jetzt auf die Idee kommen, wir hätten ihn nicht genügend gefordert. Tatsächlich wurden vor allem Schweizer Autobahnkilometer abgespult, was auf die Entwicklung des Verbrauchs balsamartige Wirkung zeigte. Doch es gab auch Momente, in denen ein langer Druck auf die ESP-Off-Taste die Stimmung und den Puls an Bord merklich erhöhte. Manchmal ist nicht einmal das nötig: Als ich bei feuchter Fahrbahn am Ende eines 100 km/h-Bereichs auf der Autobahn das Pedal to the Metal schicke, staune ich nicht schlecht. Trotz eingeschalteten Regelsystem tänzelt das Heck einen Samba, wie er zu einem sportlichen Briten nicht passen mag. Andererseits kann genau dieser Rest an Unberechenbarkeit die Faszination ausmachen.

Faszinierend sind auch die Maltalente, die bei Bedarf in den 295ern an der Hinterachse stecken. In der Praxis dürfte kaum eine Fahrerin des XFR-S tatsächlich zu den Gummi-Malstiften greifen. Es ist, wie so oft bei Fahrzeugen dieser Kategorie, das schiere Potential, das einen glücklich macht. Natürlich hat man 680 unbändige Newtonmeter in der Hinterhand. Natürlich könnte man gerade jetzt auf (abgeregelte) 300 Stundenkilometer beschleunigen. Natürlich könnte man in 4,6 Sekunden auf 100 rennen. Aber am besten fühlt sich dieses grossartige Auto an, wenn man es einfach ganz „normal“ bewegt. Er ist erstaunlich handlich, bietet grosszügig Platz für vier und hält sich zudem einigermassen zurück was den Benzinverbrauch angeht. Und als würde man einen guten Whisky verkosten, genehmigt man sich ab und zu etwas von der zur Genüge vorhandenen Leistung, untermalt von schönen V8-Klängen, die aber nie zu laut und prollig sind. Britisches Understatement halt. Oder würden Sie den XFR-S in Blau und mit Riesenspoiler bestellen? Eben.