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zuendung

29. Juli 2005

Meine Drehorgel spielt die variablen Ventilzeiten im 9000er-Takt!

Honda | 0 Kommentare

Zugegeben, die Anspielung mit der Drehorgel kommt nicht ganz hin. Ein mitteleuropäischer Drehorgeldreher schafft schätzungsweise höchstens 180 Umdrehungen pro Minute. Spätestens dann pfeift die Orgel aber aus dem letzten Loch und die Musik wird zum Lärm. Der Hondamotor schafft 9000 Umdrehungen pro Minute. Das macht 150 Umdrehungen pro Sekunde. Also fern jeglicher Drehorgelromantik. Die japanischen […]

Zugegeben, die Anspielung mit der Drehorgel kommt nicht ganz hin. Ein mitteleuropäischer Drehorgeldreher schafft schätzungsweise höchstens 180 Umdrehungen pro Minute. Spätestens dann pfeift die Orgel aber aus dem letzten Loch und die Musik wird zum Lärm. Der Hondamotor schafft 9000 Umdrehungen pro Minute. Das macht 150 Umdrehungen pro Sekunde. Also fern jeglicher Drehorgelromantik. Die japanischen Ingenieure haben aus zwei Litern Hubraum 240 PS gekitzelt – und das ohne Aufladung!

Den S2000 aufgrund seines Drehvermögens als Motorrad auf vier Rädern zu bezeichnen reicht jedoch nicht. Doch der Reihe nach. Für eine sommerliche Reise ins kurvenfrohe Wallis das passende Gerät zu finden ist im heutigen Überfluss gar nicht mehr so einfach. Den üblichen Auto-Occasionsportalen entnehme ich am Sonntagmorgen Schlechtwetter für die Angebote aus der Region. Das perfekte Gerät sollte offen und sportlich daherkommen und nicht grad den schlimmsten Eindruck hinterlassen. Mazda MX-5? Nö, zu soft und zu abgelutscht. MG TF? Der Motor gehört nach Vorne, hinter den Sitzen bringt er bloss das Fahrverhalten durcheinander. Alfa Spider? Kenn ich schon. Morgan plus8? Zu britisch und zu teuer. Na gut, dann bleibt noch der S2000, der in einer nahe gelegenen Peugeot-Garage angeboten wird. Ein Anruf am Montagmorgen…

…und schon steht die Maschine zum Probieren bereit. Schön, alles bewegt sich leichtgängig, trotz geschlossenem Dach brauche ich meine Eins-Neunzig nicht zusammenzufalten. Die Rundumsicht ist überraschend gut. Lederinterieur in Rot, Armaturenbrett in Schwarz. Die Sitzposition stimmt auf Anhieb, Schalthebel und Lenkrad liegen perfekt in der Hand. Der Peugeot-Mann will nicht aufs Mitfahren verzichten, gibt aber grünes Licht für die Suche nach dem Grenzbereich. Danke. Zudem hat der liebe Mann den Motor bereits warm gefahren.

Schnell fühle ich mich eins mit dem Japaner. Seit dem IS200 von Lexus schätze ich japanisch-präzise Autos, und so lässt sich auch der S2000 als knackig-präzis einreihen. Pedal to the metal bringt aber im ersten Moment gar nix. Ordentlich Dampf braucht Geduld oder fordert den Griff zum vorbildlich mechanisch-direkten Schalthebel. Ein wunderbares Gangwechselgefühl. Ich wünschte ich hätte ein solches Getriebe auf dem Nachttischlein. So könnte ich mich wunderbar dem Traumreich entgegenschalten.
Erst bewegt sich der Hecktriebler zweilitermässig gewöhnlich brav vorwärts. Keine Spur von 240 Rössern. Leuchtstreifchen simulieren den Drehzahlmesser. Passieren sie die 4000er Marke, bereitet sich der normale Pilot auf den Schub vor. Der Honda-Pilot muss aber bis 6000 warten, wo andere bereits an die nächste Gangstufe denken. Dann geht die Post ab, bald glaubt man 16 Ventile fliegen zu sehen. 6500, 7000, 7500 – weiter kann es nicht gehen, die vier Kolben springen bald an die Motorhaube! Nicht die Spur, 8000, 8500 – jetzt kommt der rote Bereich – 9000! Zack, nächsten Gang flutschen und weiter geht die Orgie.

MG B-Fahrer oder Fahrer von schwerfälligen Ami-V8-Gussmonstern hätten wohl ihre liebe Mühe den S2000 auf Trab zu halten. Zu sehr schmerzen hohe Drehzahlen in ihren Ohren. Erstaunlich ist, dass Honda auf den Motor drei Jahre bzw. 100'000km Garantie gibt. In einigen Rennserien verkehren Zweilitermotoren ähnlichen Zuschnitts mit etwa derselben Leistung. Jedoch ohne Abgas- und Lärmvorschriften. Diese Rennmotoren werden im 500 bis 1000km-Zyklus frisch aufgebaut…

Ich strahle dem Verkäufer entgegen: MEINS!

Leider handelt es sich beim Probewagen wahrscheinlich um einen Unfallwagen. Spur und Sturz sind derart verstellt, dass die Reifen auf der Innenseite platt sind. Aussen blättert der Lack an schlecht reparierten Stellen. Also Finger davon. Deshalb werden wir nicht handelseinig. Leider.
So gondelt man eben im Range Rover ins Wallis. Auch schön, aber anders. Ich vermisse die scharfe Lenkung, die satte aber feine Strassenlage, das leichte Übersteuern, die Beschleunigung, den Brüllsound bei 9000 Touren, den Wind im Haar, das perfekte und schnelle Elektroverdeck, den Startknopf, den silbernen Lack, das rote Leder – kurz: ich will genau so ein Auto, jetzt auf der Stelle! Wer hat mir eines?