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zuendung

18. Oktober 2006

Nach dem Schönheitsschlaf

Jaguar | 0 Kommentare

Nur über zwei Dinge lässt sich bei Jaguar nicht streiten: a) Die Form des E-Types der ersten Serie und b) die Form des XJ13-Prototypen. Eigentlich wollte ich noch c) anfügen, nämlich die Form des allerneusten XK-Coupés. Doch fegten einige entrüstete, traditionelle Katzenliebhaber diesen an sich schönen Gedanken weg. Eine Hässlichkeit sondergleichen strahle Jaguars neustes Coupé […]

Nur über zwei Dinge lässt sich bei Jaguar nicht streiten: a) Die Form des E-Types der ersten Serie und b) die Form des XJ13-Prototypen. Eigentlich wollte ich noch c) anfügen, nämlich die Form des allerneusten XK-Coupés. Doch fegten einige entrüstete, traditionelle Katzenliebhaber diesen an sich schönen Gedanken weg. Eine Hässlichkeit sondergleichen strahle Jaguars neustes Coupé aus, es sei zu fest "astonmartinisiert" und komme keinesfalls an die kurvenreiche Form des Vorgängers heran. Da wollt ich gleich anmerken, die Form des Vorgänger-XK habe sich in meiner Weltordnung als "Fabrikanten-Ehefrauen-Verpackung", zusammen mit SLK und Konsorten verankert. Aber wer will schon die Steifigkeit und "oh-dear-ness" eines enthusiastischen Jaguar-Fahrers zerstören. Mir jedenfalls gefällt der neue XK gut. Ausserordentlich gut sogar.

Nur schon die Präsentationsbilder hatten es in sich, sie zeigen den neuen XK in Südafrika. Die dortige Sonne zeigt die besten Seiten von fast jedem Auto. Aber auch in Zürich Oerlikon überzeugen seine Reize. Elegant in Schwarz. Vom ursprünglichen Concept-Car weicht die Serienversion nur in Details ab. Sie darf ebenfalls durch die grossen seitlichen Luftöffnungen hinter dem Vorderrad atmen. Also kommt schon, Ihr Jaguar-Verächter, das sieht doch toll aus!
Jaguar hätte zwar genug scharfes Gerät aus der Vergangenheit, um den Designern die Retrospektive beizubringen. Die beschränkten sich aber glücklicherweise auf den Kühlergrill, den sie dem E-Type entliehen haben. Ansonsten geht das Coupé seine eigenen, modernen Wege.

Nur Wege zu gehen ist nicht die Stärke des GT-Coupés. Über Wege zu fliegen wäre eher angebracht. Bisherige XK-Piloten wähnen sich beim ersten Strassenkontakt mit dem neuen XK wohl 30 Jahre in der Zukunft. Der Neue reagiert umgehend auf Lenkbefehle und ermutigt den Lenker, unbedingt auch mal in forscherer Gangart den Biegungen entlang zu wedeln. Der Alte liess sich dank fingernagelschonenden Türklinken zwar hervorragend zum Beauty-Salon kutschieren, schnelles Fahren aber behagte nicht mal der eigentlich schnellen XKR-Kompressor-Maschine. Jaguar hat den XK nun ordentlich gewürzt, gab ihm gar etwas Pfeffer ins Fahrwerk, wo Doppelquerlenker rundum werken. Scharf ist es aber nicht, bei wüsten Drifts ums Eck ziert er sich. Der XK ist eher eine ausgewogene Gaumenfreude; das Fahrwerk filtert Unebenheiten weg und meldet gleichzeitig satten Strassenkontakt.

Nur schnell fahren ohne angemessene Kraftquelle soll es ja nicht sein. Schon gar nicht beim – bald wieder unabhängigen? – britischen Sportwagenhersteller. Seit über zehn Jahren heizt der eigene AJ-V8-Motor Jaguars Modellpalette an. Voll-Alu-Bauweise, vier oben liegende Nockenwellen usw. State of the art eben. Resultat: 300 PS aus 4,2 Liter Hubraum. Beim eben erschienenen XKR sind 416 PS drin – aus demselben Motor, jedoch mit mechanischer Aufladung. Der V8 steht dem XK perfekt. Ins Auge stechen tut er nicht, dafür ist ein Drehzahlmesser überflüssig: Eine aktive Auspuffanlage trompetet die Drehzahlen angenehm ins Ohr. Die beiden Auspuffendrohre melden also selbstbewusst, dass sie an eine grossvolumige Kraftquelle angeschlossen sind. Das ist V8-Sound vom Feinsten, kein Geböller, eher von der Note technisch-teuer, bei hohen Touren gar etwas heiser. Wir fahren mit geöffnetem Fenster und drehen den V8 zur Freude der Ohren (und weniger Passanten) hie und da hoch (wo immer möglich).

Nur dem Achtzylinder die hervorragenden Fahrleistungen (0-100 km/h: 6.2 Sekunden) zuzuschreiben, wäre kurzsichtig, der alte XK hatte schliesslich denselben Motor unter der Haube und taugte kaum zum Sprint. Die neue Alu-Carrosserie bringt das Leergewicht mindestens 200 kg runter. Ohne diesen Ballast setzen die 300 PS an gut 1600 kg an. Nicht schlecht für ein Auto im Gran Turismo-Format, wo andere gut zwei Tonnen wiegen. Entsprechend souverän beschleunigt der XK aus allen Drehzahllagen. Die Sechsgang-Automatik von ZF spielt perfekt mit, sie schaltet im richtigen Moment zurück, bleibt aber beim sanften Beschleunigen im Gang. Durchschnittlich soll das Leichtbaucoupé laut Werksangaben 11,3 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen. Angesichts des Anschaffungs-Startpreises von CHF 127'000 fällt diese Angabe wohl weniger ins Gewicht.

Nur schnell fahren und gut ausschauen sind aber nicht die einzigen Anforderungen an Jaguars neuen Sportspross. Ein GT-Coupé ist schliesslich zum Reisen da und braucht eine entsprechende Innenausstattung. Da gibt's nicht viel zu meckern, stilvoll und angenehm ist sie alleweil. Die Sitze sind langstreckentauglich und schmiegen sich perfekt an den Körper. Die Materialien sind angenehm zu berühren, und die Sicht nach aussen ist für Coupé-Standards gut. Wir wünschten uns jedoch einen logischeren Aufbau der Bordelektronik. Soll die Sitzheizung aktiviert werden, müssen diverse Menüs durchgeklickt werden, bis einem Warm unter dem Hintern werden kann.
Mit dem neuen XK ist Jaguar aufgewacht. Hoffentlich gerade noch rechtzeitig, um sich von den steifärschigen Träumen wie der neuen XJ-Limousine zu entfernen und sich auf einen verdienten Platz unter den rentablen Automobilherstellern zu chauffieren. Neben dem probierten XK-Coupé stehen nun auch die Convertible- sowie die schnelle XKR-Version beim Händler.

Den Testwagen stellte uns die Emil Frey Garage in Zürich-Oerlikon freundlicherweise zur Verfügung. Besten Dank.