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zuendung

23. Oktober 2008

sekaiteki ni osorareru – Weltweit gefürchtet

Nissan | 0 Kommentare

Feared Globally – Weltweit gefürchtet. Das ist der Kommentar zur Nordschleife des Nürburgrings. Doch wenn der Nissan GT-R so gut sein sollte, wie man es aufgrund zahlreicher Berichte annehmen darf, könnte man diesen Spruch auch als kleinen neckischen Aufklebern auf dem massigen Hintern des schnellsten Nissan sehen. Viele Exemplare werden sicher auch die stilisierte Nordschleife […]

Feared Globally – Weltweit gefürchtet. Das ist der Kommentar zur Nordschleife des Nürburgrings. Doch wenn der Nissan GT-R so gut sein sollte, wie man es aufgrund zahlreicher Berichte annehmen darf, könnte man diesen Spruch auch als kleinen neckischen Aufklebern auf dem massigen Hintern des schnellsten Nissan sehen. Viele Exemplare werden sicher auch die stilisierte Nordschleife am Heck tragen, erfuhr der Neuankömmling aus Japan mit 7:29 doch eine Sensationszeit in der grünen Hölle. Aussen ist der neue Star am Sportwagenhimmel für Experten sofort als Skyline zu erkennen, obwohl er diesen Namen gar nicht mehr trägt. Im Gegensatz zu frühreren GT-R-Varianten, handelt es sich beim neusten Coup um ein vollkommen eigenständiges Fahrzeug. Auch der früher gepflegte Reihensechser musste einem neuen Aggregat weichen. Unter der Motorhaube haust ein V6 mit zwei Turboladern. Mitten in der weit aufgerissenen Schnauze prangt ein grosses GT-R-Emblem, wie man es vielerorts am und im Zweitürer findet. Doch wenn die Gerüchte stimmen, wird man viel häufiger einfach nur die vier grossen Töpfe mit den darüber liegenden Rundscheinwerfer sehen. Den Heckabschluss markiert ein für heutige Zeiten etwas grosser, nicht versenkbarer Heckflügel. Ansonsten kommt die Form schnörkellos daher, erinnert aus dem richtigen Winkel betrachtet gar an eine automobile Skulptur.


Skulptur: Der Nissan GT-R von seiner Schokoladenseite

Doch solche Diskussionen sind was für Kunstkritiker. Ich will den sagenumwobenen GT-R nun endlich fahren. Und tatsächlich, Sekunden nach diesem Gedanken sitze ich in den bequemen Sportsitzen und schaue auf den Tacho. 340? Naja, vorerst reicht mir Landstrassentempol vollends aus. An diesem feuchtkalten Eifelmorgen schätze ich die japanische Vollausstattung: Klimaautomatik und Sitzheitung sind ebenso an Bord wie eine elektrische Sitzverstellung. Zu Verstellen gäbe es da noch einige andere Knöpfe, doch man muss die fernöstlichen Ingenieure loben: Die häufig gebrauchten Funktionen sind superschnell gefunden. Drei Schalter fallen sofort auf, sie dienen zur Einstellung von ESP, Getriebe und Fahrwerk. Doch es ist wie gesagt feuchtkalt, also lassen wir ESP an und das Doppelkupplungsgetriebe auf Normal. Um später den Unterschied zum Race- und Comfortmodus zu spüren, bleibt auch die Fahrwerkseinstellung auf Standard. Nun darf mein Finger endlich dorthin, wo er schon lange hin wollte: Der rote Knopf auf dem Mitteltunnel hat eine magische Anziehungskraft.


Aerodynamik: Trotz grossem Heckflügel erreicht der GT-R einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,27.

Ohne grosses Brimborium erwacht das Monster vor mir. Jetzt den Schaltstummel mit Druck auf den Knopf ganz nach hinten bewegen und einfach losrollen. As easy as that. Um das gleich mal zu sagen: Mit diesem Auto kann auch Oma fahren. Nur wird sie kaum dazu kommen, weil ständig der Enkel damit unterwegs ist. Für die teilweise arg gebeutelten Eifelstrassen reicht kurzes Schnippen am Fahrwerksschalter und den Beifahrern bleibt der Besuch beim Orthopäden vorläufig erspart. Etwas kleingewachsene Fahrer könnten sich über die fehlende Höhenverstellung des Sitzes beklagen. Ich finde jedoch trotzdem eine bequeme Sitzposition, da sich auch das Lenkrad samt Armaturen in Höhe und Tiefe verstellen lässt. Die 1,89 Meter Breite wollen mit Vorsicht durch die recht engen Dörfchen bewegt werden. Die übersichtliche Karosserie hilft beim Manövrieren ebenso wie die geschwindigkeitsabhängige Servolenkung. Weil auf solchen Testfahrten das sicher lautstarke Bose-Sound-System schweigen musst, vernehme ich ein hochfrequentes Singen, das vom Getriebe zu stammen scheint. Es bewegt sich aber in einer Frequenzlage, die für die Zielgruppe sowieso nicht hörbar sein dürfte. Auch die Bremsen stimmen in das Liedchen ein, doch sind einem jegliche Geräusche total egal, wenn sie dann so brutal zu verzögern wissen. Die Bremsen sind also grossartig, das Fahrwerk durchaus komfortabel, aber was ist mit der Beschleunigung? Dazu muss ich Euch erst einmal Paul vorstellen.


Never forget: Wenn dieses Gesicht im Porscherückspiegel auftaucht sollte die linke Spur geräumt werden…

Paul ist ein schlaksiger Rennfahrer, der ein gerade noch erträgliches Oxford-English spricht. Er trägt einen weissen Helm. Mir wird klar: Nun wird die Sache also ernst. Der GP-Kurs des Nürburgrings ist zwar nicht regennass, aber auch meilenweit davon entfernt trocken zu sein. Zunächst zeigt mir Paul die Strecke und nimmt dazu immer wieder gestenreich die Hände vom Lenkrad. Als ich – inzwischen längst auch mit einem Helm ausgerüstet – in der Boxengasse mit Paul die Plätze tausche, wird mir schon etwas mulmig. Doch jetzt gibt es kein Zurück mehr. Bei der Fahrt aus den Boxen überfahre ich jene weisse Linie, die in der Formel 1 schon so oft für Diskussionen und Strafen gesorgt hat, um die erste Kurve von ganz aussen anzufahren. Sofort zeigt sich der GT-R von seiner sportlichen Seite, quittiert Runterschalten mit dem perfekten Mass an Zwischengas. Als die erste lange gerade mit kleinem Rechtsknick ansteht, fasse ich mir ein Herz und fordere die 480 japanischen Gäule heraus. Viel zu schnell muss ich schon wieder in den Zweiten, wozu ich einfach zwei Mal links vom Lenkrad das belederte Schaltpaddel ziehe. Auf der Start-/Zielgeraden wage ich einen sekundenbruchteilkurzen Blick auf den Tacho: irgendwo über 210. Doch nun bin ich etwas spät dran mit dem Verzögern. Ein bisschen hart auf der Bremse und schon schwimmt der schnelle Nissan, kommt etwas quer, fängt sich aber sofort wieder und lässt sich butterweich in die erste Kurve einlenken. Paul verzieht keine Miene. Das kann ich mangels Sichtkontakt und wegen seines Integralhelmes eigentlich gar nicht sehen, aber ich vermag es seinem ununterbrochenen Redeschwall zu entnehmen. Seelenruhig sitzt er da und flechtet nebenher ein "that was a little late" in einen seiner beratenden Sätze ein. Ja, war es.


Ergonomie: Alle wichtigen Funktionen sind über grosse Schalter zu erreichen, Platz für Spielereien bleibt.

Nach einem weiteren kurzen Boxenstopp befindet sich das Doppelkupplungsgetriebe nun im Sport-Modus, der es noch schneller arbeiten lässt. Als ich abermals die lange Gerade hinauf beschleunige meine ich den Unterschied zu bemerken. Das Ding ist tatsächlich so gut, dass ich es dem GT-R nicht übelnehmen kann, dass es ihn nicht mit manuellem Getriebe gibt. Mit zwar fühlbarem aber nicht schmerzhaften Ruck fliegen die Gänge rein. So schnell könnte ich das mit einem Handschalter niemals erledigen. Nach einigen Runden übernimmt Paul das Steuer, um zu zeigen, was der Skyline-Nachfolger so drauf hat. Mit "about 85%" sei er gefahren, meint Paul nach zwei schnellen Nürburgringenumrundungen. Dabei habe ich erfahren, wie spät man mit diesem Auto in die Eisen gehen könnte, wie grossartig die Traktion bei Volllast aus der Kurve heraus ist, ja wie ready to race dieser Nissan GT-R tatsächlich ist. Dabei könnten hinter uns noch zwei Kinder im Fond Platz nehmen. Noch weiter hinten gibt es unglaubliche 315 Liter Kofferraum. Doch schauen wir noch einmal nach vorne. Da sitzt in bester Lage ein Bildschirm, auf dem normalerweise Dinge wie die Klimaeinstellungen oder Reichweite angezeigt werden. Wie es sich für ein japanisches Auto gehört, sind daneben auch Darstellungen der G-Kräfte möglich. Eine Stoppuhr für Rundenzeiten ist darauf ebenso einblendbar, wie aktuelle Drehmomentverteilung.


Farben: Die meisten GT-R werden schwarz sein, in helleren Farben kommen die Konturen besser zum Vorschein.

Ich denke, man kann diesen Zeilen entnehmen, dass der Nissan GT-R tatsächlich genau der sensationelle Sportwagen ist, für den man ihn hält. Ein solches Package nahe der Perfektion bringt meistens eine schlechte Botschaft zum Schluss mit sich. Den Preis. Doch der ist, wenn man mal den Fahrspass, die Beschleunigungswerte, das tolle Fahrwerk und das mustergültige Getriebe aussen vor lässt, das eigentliche Highlight. Das Topmodell kostet in der Schweiz 117'600.- CHF. Ein Porsche 911 – kein S, kein Turbo, kein Doppelkupplungsgetriebe, kein Allrad, kein Navigationssystem, kein echter Kofferraum (135 L), kein einstellbares Fahrwerk – kostet 127'200 Schweizer Franken. Sogar beim Tankinhalt übertrumpft der Japaner den in die Jahre gekommenen Flachkäfer um 7 Liter. Den Weissachern gehen die Argumente aus und Nissan die Autos. Wer jetzt bestellt, wartet über eineinhalb Jahre auf seinen GT-R. Und es gibt noch einen Faktor, den man heute nicht mehr weglassen darf: Der Verbrauch liegt nach ECE-Norm bei 12,2 Liter. Da wird man wohl noch Zwei Liter drauflegen müssen, schliesslich wiegt der GT-R 1750 kg. Das sind übrigens etwa 250 mehr als ein allradgetriebener 911er, obwohl Türen und Hauben des Nissan aus Aluminium gefertigt wurden.

Ich habe wirklich versucht, kritisch und so objektiv als möglich zu sein, doch dieses Auto ist einfach der Hammer. Weder Verarbeitung noch Design geben in meinen Augen Anlass zu Kritik. Dass im Innenraum nicht jedes alufarbene Konsölchen auch wirklich aus dem Vollen geschnitzt ist, kann bei diesem Preis nicht überraschen. Die Volllederausstattung mit perfekt passenden Sitzen ist ein Genuss für sich. Trotz einer Fülle an Funktionen ist das Cockpit übersichtlich geblieben und vermag sogar eine Portion Charme zu verströmen. Die Traktion ist derart bestialisch, dass ein GT-R nur sehr selten mit Vollgas bewegt werden dürfte. Dass der endlich auch in Europa erhältliche Sportwagen von Nissan neben seinen zweifelsohne vorhandenen Rennstreckentalenten auch eine angenehmes Mass an Komfort zu vermitteln mag, wird seine Käufer umso glücklicher machen. Die Stückzahlen der Fahrzeuge werden durch die von Hand aufgebauten stets tief bleiben, was die Konkurrenz wohl kaum sonderlich stören dürfte. Denn ich bin mir sicher, wenn der Nissan GT-R ein Prädikat verdient, dann folgendes: Feared Globally.