Man könnte ja meinen, der Name Tiguan sei eine Mischung aus Tiger und Leguan. Und: Man würde damit genau richtig liegen. Für die erste Generation wurde die Bezeichnung in einer Umfrage in der deutschen Autozeitschrift Auto Bild auserkoren. Seither ist der Tiguan längst aus dem Schatten von Golf und Co. herausgewachsen, schliesslicht wird das grosse Geschäft heute mit den SUV gemacht. Somit kommt der neuesten Generation eine Schlüsselrolle zu. Neu gibt es keinen langen Allspace mehr, es bleibt bei 5 Sitzplätzen und einer Länge von 4,54 Meter. Den Platz des 7-Sitzers wird übrigens der neue Tayron übernehmen. Optisch wirkt aber bereits der Tiguan Nummer 3 gestreckt.
Gerade im eleganten Grünton Cipressino Metallic verströmt er Premiumfeeling. Klar, ein Blick auf die Preisliste rückt das Ganze dann in ein etwas realistischeres Bild. So wie Mini nicht mehr nur für kleine Autos steht, hat Volkswagen in Sachen Preis den Bezug zum Markennamen ziemlich abgelegt. Fast 75’000 Franken kostet der Zweiliter-Diesel in der Ausstattung R-Line, wobei im Testwagen noch einige angenehme Goodies verbaut sind, die schliesslich zu diesem doch erstaunlich hohen Preis führen. Dabei ist er mit 193 PS zwar anständig motorisiert, „R“ wie Racing kann man damit aber nicht betreiben. Vielleicht eher „R“ wie Reisen? Das finden wir in einem Kürzesttrip zum Europa Park heraus.
Normalerweise würde ich vorher volltanken. Ein Blick auf die prognostizierte Reichweite hält mich aber davon ab: 700 Kilometer, wobei ich bestimmt schon über 100 Kilometer gefahren bin. Ja, die guten alten Diesel hatten schon etwas für sich. Reichweite, ordentlich Punch und dabei einen gar nicht so grossen Durst. Da muss man auch als Elektrofan zugeben, dass man diesem Konzept abgesehen der klar besseren CO2-Bilanz gar nicht so viel entgegenzusetzen hat.
Einem empfindlichen Rücken hat der Tiguan Top-Sitze entgegenzusetzen. Neben der ohnehin schon sehr guten Abstützung verwöhnt einen eine starke Massagefunktion, deren aktive Elemente bis zu den Schulterblättern hinauf reichen. Gerade auf weiteren Strecken ein sehr willkommenes Feature. Natürlich kommt es auf den 2 x 200 Kilometer zum Europa Park und zurück zum Einsatz. Die Navigation übernimmt Google Maps, das via kabellosem Apple CarPlay vom iPhone eingespiegelt wird. Der Stau bei Basel wird auf der Hinfahrt via ebenfalls dicht bevölkertem Rheinfelden-Grenzübergang umfahren. Wie sich der Tiguan dabei macht? Super unauffällig.
Er funktioniert, wie er soll. Fünf bequeme Plätze stehen zur Verfügung, ein gut zugänglicher Kofferraum mit 500 Liter Volumen nimmt das Gepäck locker auf. Das Panoramadach bietet freie Sicht auf das Regenwetter, lässt sich zudem auch noch öffnen. Am Lenkrad schätzt man neben seiner Griffigkeit die Absenz von kapazitiven Tasten, hier gibt es wieder echte physische Knöpfe. Was für eine Wohltat. So hat man die Einstellungen des adaptiven Tempomaten schnell blind im Griff. Kommt dazu, dass dieser seine Geschwindigkeit zuverlässig von gelesenen Verkehrszeichen übernimmt. Bei Nacht kommt das souveräne IQ.Light zum Einsatz, das mit seiner Matrixtechnologie genau dort erhellt, wo man es sich wünscht.
Tatsächlich würde man sich etwas mehr Dampf wünschen. Ich überlege mir, dass die Blue Fire Achterbahn in 2,5 Sekunden auf 100 Sachen beschleunigt und der Tiguan für die gleiche Übung 7,7 Sekunden (Werksangabe) braucht. Natürlich hinkt der Vergleich. Wer häufig E-Auto fährt, vermisst den Bums beim Auffahren auf die Autobahn. Sobald man aber ein gewisses Tempo erreicht hat, schwimmt der Wolfsburger tiptop mit. Auch in Deutschland, wo man sich als Schweizer jeweils so sehr nach der „Freie-Fahrt“-Tafel sehnt, ist man nicht untermotorisiert. Nach etwas Angewöhnung fahre ich 180 als wären es 130 km/h. Natürlich sinkt die Reichweite dann deutlich schneller. Da diese Gelegenheiten aber rar bleiben, ist der Einfluss der kleinen Ausflüge in den Hochgeschwindigkeitsbereich am Ende vernachlässigbar.
Ebenfalls vernachlässigbar ist der Einfluss der Fahrmodi. Am grossen Rad auf der Mittelkonsole verstellt man nämlich neben der Lautstärke auch die Regelung des Adaptivfahrwerks, die Gasannahme und die Ambientebeleuchtung. Doch die einzelnen Stufen sind nur schwer voneinander zu unterscheiden. In der Nacht kann allenfalls die grosszügig verteilte LED-Innenraumbeleuchtung einen gewissen Unterhaltungswert bieten. Mir gefiel das eingestellte Blau jedenfalls sehr gut.
Überhaupt verwöhnt der Tiguan mit stilvollem Ambiente. Auch die Lederausstattung überzeugt. Nur der Klavierlack auf der Mittelkonsole ist etwas zu viel, zumal dort ständig Fingerabdrücke weggerieben werden müssen. Ein Königreich für das Mikrofasertuch. Wobei letzteres ja in allen Fahrzeugen mit Touchscreen ins Handschufach gehört. Dort haben die im Europa Park „gewonnenen“ Plüschtiere kaum Platz. Zum Glück ist der Tiguan grosszügig geschnitten.
Auf der Heimfahrt klappt es dann ganz ohne Stau. Rust – Luzern in 1:42h ist aller Ehren wert, wären aber auch mit einem langsameren Auto zu erreichen gewesen. Entscheidend war alleine der für einmal staufreie Autobahnbereich um Basel. Die Übernachtung im Park ist ähnlich wie der Tiguan, nämlich etwas gar teuer. Doch wer das Verwöhnpaket will, der wird keine Alternative finden. Das schaut in der automobilen Welt etwas anders aus. Da gibt es einen BMW X1, der in einen ähnlichen Preisrahmen fällt. Auch die Basisversionen von Audi Q5 oder Volvo XC60 sind dafür schon zu haben.
Was hat der Tiguan der Konkurrenz zu entgegnen? Erstaunlicherweise vor allem ein aufgeräumteres und modernes Design. Vorne wie hinten durchgehende Leuchtbänder sind schwer in Mode. Die schwarzen Kontrastteile der R-Line wirken edel. Dazu ist das Gesamtpaket sehr stimmig, die Ausstattung des Testwagens vollständig. Am Ende ist es dann wohl die Entscheidung, ob man wirklich so viel Geld für einen auf der Kompaktplattform von Volkswagen aufbauenden SUV ausgeben möchte. Falsch machen würde man damit allerdings nichts.
Für die Reise ins Kinderparadies kann man sich kaum einen praktischeren Begleiter vorstellen. Die Sitze halten die wie dich wie die Bügel auf der Arthur-Bahn und der Komfort ist um Welten besser als auf der Wodan. Dass er mit einem Durchschnittsverbrauch von 6,4 Liter Diesel locker hin und zurück fährt, ist eine nette Nebenwirkung des ausgereiften Antriebskonzepts. Wer Wintersport treibt, wird sich zudem über die Allradkompetenz des 4Motion-Antriebs freuen. Das Doppelkupplungsgetriebe fand bis zum Schluss keine Erwähnung, weil es nicht einmal mit einem Piepton nervt, wenn man den Motor abschaltet, bevor man es an der Lenksäule auf P geschaltet hat. Es sind Kleinigkeiten wie die zwei induktiven Ladeplätze für Smartphones, die im Alltag glücklich machen.