Seite wählen

zuendung

28. Juli 2011

Luftige Eleganz

BMW | 0 Kommentare

Adrian van Hooydonk hatte als Chefdesigner die nicht zu unterschätzende Aufgabe, aus dem hässlichen Entlein einen wunderschönen Schwan zu machen und dabei dennoch Anklänge des alten BMW 6ers durchschimmern zu lassen. Schauen wir uns das Cabrio des neuen BMW 640i also an. Die Lancierung der Openair-Version wurde geschickt auf den Frühling gelegt, weshalb die dadurch […]

Adrian van Hooydonk hatte als Chefdesigner die nicht zu unterschätzende Aufgabe, aus dem hässlichen Entlein einen wunderschönen Schwan zu machen und dabei dennoch Anklänge des alten BMW 6ers durchschimmern zu lassen. Schauen wir uns das Cabrio des neuen BMW 640i also an. Die Lancierung der Openair-Version wurde geschickt auf den Frühling gelegt, weshalb die dadurch länger gewordene Wartezeit auf das Coupé gerne in Kauf genommen wird. Vorne zeigt der Neue die aktuelle BMW-Niere, die steil in den Wind ragt und oben abgeschrägt ist. Die Scheinwerfer sind im Vergleich mit dem Vorgänger zurückhaltender gehalten, wobei dem Blick dennoch die nötige Portion Neugier und Frechheit beigemischt wurde. An den Flanken finden sich keine erklärungsbedürftigen Element, lediglich der Seitenblinker mit Metallzierelement lockert die ansonsten durch pure Eleganz überzeugende Linie ein wenig auf. Das Heck kommt im Vergleich zum Vorgänger weitaus weniger bullig daher. Die breiten, aber flachen Rückleuchten betonen die Horizontale. Praktisch gleich geblieben ist das Verdeck mit den seitlich auslaufenden Finnen und der senkrecht stehenden Heckscheibe.

Gut ausschauen tut er also, aber wie fährt sich die neueste BMW Kreation? Natürlich startet die Maschine auf Knopfdruck. Trotz offenem Verdeck dringt nur gedämpftes Säuseln zu mir vor. Unter der konturierten Haube tut ein Motor sein Werk, der mit 450 Newtonmeter ab 1300 Umdrehungen aufwartet. Leistungsmässig steht er mit 320 PS auch nicht eben schwach da. Ein V8 also? Ein grossvolumiger Saugmotor? Weit gefehlt: Der Reihensechszylinder hat nur 2979 Kubikzentimeter, dafür aber Benzindirekteinspritzung und einen TwinScroll Turbolader.

Mit beeindruckender Traktion schiesst sich der Hecktriebler aus den Startlöchern. Doch schon in der ersten Kurve zeigt sich die wahre Bestimmung dieses Wagens. Während ich mit einem Z4 knackig einlenken würde, um am Ende der Kurve noch einen leichten Heckschwenk hinzulegen, bin ich hier "dank" der Integral-Aktivlenkung schon zur Genüge damit beschäftigt, den Scheitelpunkt wenigstens einigermassen zu treffen. Was laut Hersteller den gefühlten Radstand verkürzen soll, führt bei mir nur dazu, dass ich überhaupt keine Verbindung zur Strasse fühle. Über 60 km/h lenken die Hinterräder dann nicht mehr entgegen, sondern mit den vorderen, was zu einem zwar immer noch synthetischen, aber bei diesen Geschwindigkeiten eher passenden Lenkgefühl führt.

Es sind also eher die langgezogenen Schwünge denn die engen Kehren, die dem grossen Cabrio liegen. Nun gut, das gibt es in der Zentralschweiz zur Genüge. Also lasse ich die Autobahn links liegen und biege auf die Landstrasse ein. Da fehlt mir auch der Tempomat mir automatischer Abstandsregelung nicht, den man beim 6er unverständlicherweise nicht in die Optionsliste aufgenommen hat. In der Liste und auch im Testwagen findet sich dafür eine "Adaptive Drive" genannte Kombination aus Dämpfereinstellung, Wanksstabilisierung und ESP-Einstellung. Für den flotten Landstrassenritt wähle ich die Einstellung Sport, die neben noch geniessbarer Härte im Fahrwerk auch ein sportliches Ansprechverhalten auf Gasbefehle mit sich bringt. Wunderbar, wie der Wind durchs Haar streift.

Ok, ich kann's nicht lassen und nehme den Weg zum Michaelskreuz hinauf unter die Räder. Das schmale Strässchen wird glücklicherweise nur von bergaufkeuchenden Radfahrern genutzt, weshalb die 1,9 Meter Breite nicht wirklich zum Problem werden. Wunderbar, wie die Audioanlage ein Gefühl zu vermitteln schafft, als sässe man ihm Wohnzimmer vor der Stereoanlage. Nur, dass in diesem Wohnzimmer die Aussicht auf den Pilatus in der Abendsonne lockt. Zuoberst angekommen realisiere ich, dass die wunderbar zur Hand liegenden Schaltpaddel gar nie benutzt werden mussten. Die 8-Gang-Automatik mit Start-/Stopp-Automatik schaltet dermassen schnell und gleichzeitig auch sanft, dass man sich manuelle Eingriffe sparen kann. Ihre intelligenten Schaltvorgänge lassen mich die noch vor kurzem als Nonplusultra gepriesenen Doppelkupplungsgetriebe vergessen. Ein besseres Getriebe habe ich jedenfalls noch nie bedienen dürfen.

Natürlich gibt es diese Qualitäten nicht umsonst. Der Basispreis von 122'100 Franken steigt mit einen gewaltigen Zahl von Annehmlichkeiten auf ebenfalls gewaltige 162'720 Schweizer Franken. Da sind dann die sensationellen Komfortsitze (3050.-) wie auch Adaptive Drive (5510.-) und der Komfortzugang (1320.-) mit dabei. Als grossartiges Extra hat sich der Parkassistent in der Innenstadt von Zürich gezeigt: Einfach an der Längs-Lücke vorbeituckern, Rückwärtsgang auf Anweisung einlegen und staunen, wie schnell der 6er für den Fahrer kurbelt. Anders als frühere Parkassistenten kann sich dieser richtig in die Lücken "hineinsägen", so dass der Abstand zu den geparkten Autos vorne und hinten am Schluss nicht mehr als 50 cm betrug. Ich gebe offen zu, dass ich es ganz bestimmt nicht geschafft hätte, in dieser Zeit die doch recht unübersichtliche Nobelkarosse innerhalb der Linien zu versorgen.

Wenn man doch einmal selber parkt, ist die Surround View genannte Vogelperspektive der Parkdistanzkontrolle sehr hilfreich, auch wenn nicht ganz das Niveau des nach dem gleichen Prinzip arbeitenden Systems von Infiniti erreicht wird. Am Testwagen waren übrigens 5 Kameras (eine hinten, zwei vorne seitlich für den Parkassistenten und zwei in den Spiegeln für die Surround View) verbaut. Dazu kommt eine für das Nachtsichtgerät Night Vision, das man sich ruhig sparen kann.

Und wie gut spart der BMW 640i eigentlich selbst? Immerhin hat er Start-Stopp und einen laut Hersteller sehr effizienten Direkteinspritzer. Dass der NEFZ-Verbrauch von 7,9 Liter bei einem Zweitonner mit 319 PS praxisfremd ist, braucht eigentlich gar nicht erwähnt zu werden. Tatsächlich verbraucht hat er 10,4 Liter, was bei doch ab und zu flotter Fortbewegung ein anständiger Wert ist.

Das grosse Cabrio von BMW ist teuer, schwer und nicht supersparsam. Dafür entschädigt es mit einer unerreichten Eleganz, einem atemberaubenden Sound (leider nur aus den Boxen), einem Feuerwerk an gut funktionierender Technik und einem überragenden Fahrwerk. Ausserdem reicht auch der "kleine" Motor im 6er aus, um das Cabrio souverän zu beschleunigen. Ein Auto, mit dem den Weg nach Südfrankreich mit Freuden auf sich nimmt und sogar auf das ganz grosse Gepäck verzichtet, um möglichst oft offen zu fahren. Dank Adrian van Hooydonk macht dabei sogar das Zuschauen Spass.